Interview
AFRIKANAH: “Schwarze Menschen brauchen in Deutschland ein neues Narrativ”
“Black lives matter” – vor wenigen Jahren der Satz, der die ganze Welt bewegt hat, als in den USA ein schwarzer Mitbürger durch einen Polizisten zu Tode gekommen ist. Nicht zu letzt deshalb ist es wichtig, die Rolle der schwarzen Bevölkerung in unseren Kreisen zu stärken. “Es scheint unglaublich, aber die meisten Bilder, die von schwarzen Menschen vermittelt werden, übertragen sich auch auf die schwarze Kultur in der deutschsprachigen Region.” berichtet Julie Tshidibu, Gründerin von Afrikanah.
Sie hat es sich zum Ziel gemacht, nicht nur den deutschsprachigen Raum für die Vielseitigkeit und Vielfalt der schwarzen Menschen zu sensibilisieren, sondern will auch die Kultur der afrodiasporischer Menschen wieder festigen. Mit ihrer Community Afrikanah geht sie einen neuen Schritt in Richtung der Integration und gestärkten Selbstwahrnehmung Schwarzer Menschen. Was dahinter steckt und vor allem, was sie zur Gründung von Afrikanah bewegt hat, verrät sie exklusiv im Interview bei Unternehmer Deutschlands
Julie Tshidibu von AFRIKANAH im Interview
Herzlich Willkommen bei Unternehmer Deutschlands Julie Tshidibu. Du hast AFRIKANAH als Plattform gegründet, die Schwarze Menschen in einem anderen Licht hervorheben und Aufklärung in allen gesellschaftlichen Ebenen sorgen soll. Wie kam es dazu?
Ich selbst musste als Kleinkind mit zweieinhalb Jahren aus meiner Heimat in Afrika flüchten. Durch Umwege kamen meine Familie und ich nach Deutschland. Einem schönen Land, das für uns aber auch viel veränderte. Meine Mutter war früher Lehrerin, musste aber jetzt mit uns Kinder zuhause bleiben, weil sich sonst keiner um uns kümmern konnte. Mein Vater, der in Afrika in einer amerikanischen Botschaft arbeitete, suchte umgehend nach einer neuen Anstellung. Gar nicht so leicht, ohne deutsche Sprachkenntnisse und ohne Anerkennung seiner Ausbildung sowie der langjährigen Berufserfahrung.
Aber mit kleinen Putzjobs und später auch Kellnerjobs konnte er uns über Wasser halten. Im Rahmen der Erziehung waren sich meine Eltern einig. Wir sollten uns so unauffällig wie möglich verhalten, kein Aufsehen erregen und still mitlaufen. Sie sahen das Land als eine Chance friedlich zu leben, also mussten wir alle die notwendige “Disziplin” erbringen, um diesen “Reichtum” zu halten. Gute Noten, unauffälliges Auftreten und keine Schlägereien waren für uns als Kinder an der Tagesordnung.
Das Problem war, durch dieses Verhalten gewannen wir nur wenige deutsche Freunde, waren meist allein oder unter Geschwistern unterwegs. Gingen wir durch die Straßen fiel uns auf, dass alle schwarzen Menschen irgendwie in dieser sozialen “Kaste” zu leben schienen. Wenig Geld, Aushilfsjobs und kaum anerkannt. Wir selbst spürten das natürlich auch.
Im Alter von etwa zehn Jahren war ich der deutschen Sprache weit mächtiger als meine Eltern. Also begleitete ich sie zu Behördengängen, übersetzte für sie und stand als Unterstützung zur Seite. Schon damals fiel mir auf, wie kalt wir behandelt wurden. Gut, wir sprachen nicht perfekt Deutsch, aber meine Eltern waren gebildet, arbeitsam und fleißig. Nur, dieser Respekt wurde ihnen nicht entgegengebracht.
Wir sind sieben Kinder unter einem Dach und bis auf meine große Schwester und mir selbst, mussten alle auf die Hauptschule gehen. Ich verstand erst später, warum das so war. Da meine Eltern nur wenig deutsch sprachen, konnten sie beim Abschlussgespräch zum Orientierungsjahr kein Veto gegen die Entscheidung einreichen. Mitunter verstanden sie nicht, was man ihnen sagte. Als ich an der Reihe war, fasste sich mein Vater ein Herz und engagierte sich vehement dafür, dass wir aufgrund unserer guten Leistungen wenigstens die Realschule, ich selbst sogar das Gymnasium, besuchen konnten.
Doch der Schritt ins Gymnasium war auch hier für mich ein schwerer Weg. Getrennt von meinen Geschwistern, die auf einer andere Gesamtschule gemeinsam waren, musste ich das erste Mal meinen eigenen Weg finden. Ich fand hier meine beste Freundin, aber leichter machte es mir das trotzdem nicht.
So verging die Zeit, ich wurde erwachsen, lernte einen Beruf und hatte auch eine gute Anstellung, zuletzt im Recruiting. Aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich mehr mit meinen neuen Privilegien tun musste – jenen, die ich über die Jahre durch Bildung, Reisen, Berufsentwicklung und vieles mehr gesammelt hatte. Außerdem störte ich mich an dem Narrativ, das über die Black People existierte. Wir waren nicht nur arme verhungerte Menschen aus Afrika, die jetzt in Deutschland von weniger als dem Mindestlohn lebten und sich glücklich fühlten. Es musste mehr geben.
Nach den Vorfällen um George Floyd in den USA bemerkte ich immer wieder, wie sehr mich dieser Fall mitnahm. Ich kannte den Menschen nicht, aber dass er aufgrund seiner Hautfarbe das erleben musste, schockte viele Schwarze und Weiße Menschen, auch in meiner Umgebung. Um darüber sprechen und das Erlebte verarbeiten zu können, entstanden “Safer Spaces”, an denen wir uns trafen. Ich fühlte mich wohl in der Gemeinschaft und auf einmal traf ich auf Leute, die so viel mehr waren als nur Schwarze Menschen in Deutschland. Und so vergrößerte sich mein Bekanntenkreis sehr schnell. Ich war neugierig, wie sie lebten und vor allem, was sie alles erreicht hatten.
Sie hatten Jobs, waren angesehen, durchlebten eine Entwicklung. Das weckte den Ehrgeiz in mir und ich spielte mit dem Gedanken, mir auf der LinkedIn Plattform Menschen zu suchen, die dieselbe Hautfarbe hatten wie ich und schon etwas erreichen hatten – so konnten wir auf einer gewissen Augenhöhe kommunizieren. Durch Zufall sprach ich mit einem bekannten darüber, der meinte: “Ey, mach einen Podcast daraus. Multikulturalität und Podcasting wird das nächste große Ding und zeige auf, wie Schwarze Menschen einen entscheidenden Beitrag in der Gesellschaft leisten können. Gib ihnen eine Plattform, dass sie anderen guten Leuten zeigen können, dass sie genau richtig sind, wie sie sind.”
Also hattest du auch diese Zweifel an dir?
Logisch, ich war mehr deutsch als afrikanisch. Habe meine Kultur früher versteckt, sogar teilweise geleugnet, nur um nicht aufzufallen. Das hat übrigens auch an meinem Selbstbewusstsein massiven Schaden angerichtet. Der Vorschlag mit dem Podcast war gut, ich unterhielt mich auch mit den Leuten. Aber veröffentlichte nichts. Viel zu groß war die Angst vor den Reaktionen.
Doch so wie es war, konnte es auch nicht weitergehen. Durch Zufall traf ich eine schwarze Gynäkologin, die in Deutschland lebte und praktizierte. Sie war einer der ersten schwarzen, erfolgreichen Personen in meinem Alter, die mir zeigte, dass es wirklich jeder schaffen konnte und keiner sich verstecken musste. Ich ging nach der Begegnung nochmal in mich und merkte, dass es nicht anders ging und ich raus in die Öffentlichkeit damit musste – auch mein Mentor, ein weißer amerikanischer älterer Herr half mir bei dieser Entscheidung. Er ist einer der Menschen in meinem Leben, die mir gezeigt haben, dass es dieses Schwarz-Weiß Denken eigentlich gar nicht geben sollte. Wir sind alle besonders – als Teil einer Gemeinschaft.
Also veröffentlichte ich den Podcast und rief AFRIKANAH ins Leben als eine Plattform für Schwarze Menschen, die sich endlich als die Talente sehen sollten, die sie wirklich waren. Und nicht ein Stereotyp, der ihnen von der Gesellschaft aufgezwungen wurde.
Was bietet AFRIKANAH den Mitgliedern?
Es ist eine Plattform, auf der sich Schwarze Menschen miteinander austauschen können. Wir alle leben mit gewissen Vorurteilen. Zum einen durch die Geschichte unserer Ethnie, das Sklaventum und die Unmenschlichkeiten, die unsere Vorfahren für hunderte Generationen erfahren mussten. Zum anderen aber auch durch unseren internalisierten Rassismus gegen uns. Durch das Leben zum Beispiel in Deutschland, haben wir uns so angepasst und gezügelt, dass wir teilweise unsere eigenen Wurzeln vergessen haben. Ob nun Religion, Heimat oder Lebensweise. Wir sind zu Chamäleons geworden, die um keinen Preis erkannt werden möchten. Ich war selbst durch die Medien hier eine Zeit lang der Überzeugung, dass in Afrika alle arm sind, im Dreck leben und Hunger haben. Wir dankbar sein müssen, dass wir es hierher geschafft haben. Dabei ist das immer abhängig von der Gegend in Afrika. Es gibt ganz arme Gegenden, aber die meisten leben ganz normal, haben einen Job, eine Wohnung oder ein Haus.
Dankbar sollten wir in jedem Falle sein, für alles, und grundsätzlich als Menschen. Aber dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht verstecken. Vor allem um unserer eigenen Gesundheit willen.
Wie ist das zu verstehen?
Das eine ist die psychologische Komponente. Durch Erzählungen, die Medien und die Geschichte erfahren wir, dass Schwarze Menschen früher als der größte Abschaum gegolten haben. Waren Diener der weißen Menschen, gute Arbeitskräfte. Auch wenn es keiner unserer Generationen mehr erleben musste, so ist es tief in uns verankert und hält uns zurück. Das ist ein Druck, der dich in der Gesellschaft untergehen lässt, wenn du das nicht verarbeiten kannst. Darüber hinaus wissen viele nur sehr wenig über ihre eigentliche Herkunft und dortige Kultur. Viele Informationen, die wichtig sind, um eigene Charakterzüge oder Verhaltens weisen zu verstehen.
Ich habe zum Beispiel erst in den letzten Jahren gelernt, dass der Februar als Black History Month ist, in dem die Errungenschaften und Erfolge von schwarzen Menschen gefeiert werden. Um damit für uns mehr Sichtbarkeit ein gewisses Level an Aufklärung zu erreichen. Aus meinem früheren Bild hätte ich mir gar nicht vorstellen können, dass Schwarze Menschen auch wahre Erfolge feiern durfte, denn immerhin sind sie so schlimm wie keine andere Ethnie misshandelt, benutzt und verfolgt wurden – und das weltweit.
Das andere ist unsere körperliche Gesundheit. Schwarze Menschen haben genetische Eigenschaften, die sie für einige Untersuchungsmethoden der westlichen Welt ausschließt oder sogar Krankheitsbilder hervorruft, die in der westlichen Welt nicht erkannt werden. Unsere dunkle Haut benötigt zum Beispiel Fingersensoren, die dunklere Hauttöne berücksichtigen und für eine adäquate Messung des Sauerstoffgehaltes im Blut sorgen. Das ist ein Fakt, den die medizinische Industrie aber gar nicht berücksichtigt und somit weiterhin Geräte baut, die uns nur bedingt etwas nützen.
Aber auch die genetische Disposition in unserem Genom zur Sichelzellenanämie ist in hiesigen Kreise kaum bekannt. Da die Krankheit eher mit grippalen Symptomen beginnt wird sie meist als Erkältung oder Grippe abgestempelt. Dabei kann eine verspätete oder falsche Behandlung für uns fatale Folgen bis hin zur Notwendigkeit einer Stammzelltransplantation oder dem Tod haben.
Darüber hinaus sind gewisse Nahrungsmittel einfach nicht gut für uns. Alles Dinge, die selbst ich nicht wusste, weil wir viel zu wenig über die bestmögliche Ernährungsweise für Menschen mit diesem Genom wissen bzw. wussten.
Aber AFRIKANAH soll weit mehr bieten als nur Treffpunkte und Aufklärung. AFRIKANAH soll der Anlaufpunkt sein, um Selbstbewusstsein zu tanken, Unternehmer und Fachkräfte zu treffen, die es geschafft haben sich zu entwickeln und selbst ihre Kultur zu leben oder dieser viel näher kommen möchten. AFRIKANAH soll Brücken zwischen Schwarzen Menschen und dem Rest der deutschsprachigen Gesellschaft bauen. Aber auch eine Nähe zum Kontinent herstellen und als Bindeglied mit afrikanischen Staaten fungieren. Dafür sorgen, dass wir eine bessere Behandlung in allen Bereich erfahren.
Wir gesund bleiben, unsere Bräuche leben können, wir uns nicht schämen und unsere Kulturen eher mit allen anderen teilen und diese kulturelle und wirtschaftliche Bereicherung in der deutschsprachigen Gesellschaft in den Vordergrund gerückt wird. Dass wir echte Teilhabe schaffen. Aber das ist noch ein weiter Weg, um alles zu erreichen.
Wie stark hat AFRIKANAH dich verändert?
AFRIKANAH, die Menschen und die Plattform haben mir gezeigt, dass ich mich nicht für meine Herkunft schämen muss. Alle Vorurteile, die ich mir selbst zusammenreimte, weil ich es nicht anders kannte, nur in meinem Geist existieren. In Wirklichkeit können wir die Chance für Deutschland sein. Wir können alles leben und alles erreichen. Wir können unseren Spirit mit anderen Kulturen teilen, wir sind ein Teil der Fachkräfte der Zukunft.
Denn allein unsere Erziehung, aber auch unsere Mentalität und unsere Werte geben uns Ehrgeiz und Energie, die uns antreiben, alles zu schaffen. Drei Sprachen lernen, immer wieder andere Berufe erkunden und ausführen. Aber auch mit unserer Stimme auf uns aufmerksam machen. Die Politik ansprechen und die Medizin auf uns sensibilisieren. Wir sind heute schon etwa eine Million Schwarze Menschen in Deutschland, Tendenz steigend. Und: Wir sind die globale Mehrheit.
Wir werden einen gewissen Anteil der Gesellschaft begleiten und das wollen wir mit voller Verantwortung für uns alle tun. Denn wenn AFRIKANAH kein Sprachrohr und das Bindeglied zwischen den Kulturen bildet, dann werden noch mehr Kinder wie unsere Generation die alten Lasten aufnehmen und sich nicht entfalten. Potenziale, die wir einfach verschenken würden und doch so gern teilen und nutzen möchten.